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…..so muss das gewesen sein, als meine kürzlich verstorbene Freundin Heide vor zwanzig Jahren ihren Thorsten kennen lernte.
Heide war meine Freundin zu Studienzeiten und auch noch darüber hinaus. Sie war klein, gertenschlank und immer nur unglücklich verliebt in zarte Psychologiestudenten oder aber in androgyne Betriebswirtschaftler und Juristen, die Dawid Bowie hätten den Bruderkuss geben können. Am Ende war sie immer unglücklich und so kam die multiple Sklerose in ihr Leben. Wir alle – Mitte Zwanzig – waren geschockt. Als sie sich nach dem ersten üblen Schub erholt hatte, begann sie eine Ausbildung zur Familientherapeutin und lernte Thorsten kennen. Thorsten war nicht zart sondern laut, nicht androgyn sondern kräftig, nicht reflektiert sondern schlau und selbstverliebt. Ich mochte ihn nicht. Als erste Amtshandlung hat er unsere Freundschaft mit Erfolg hintertrieben. Er behauptete, dass ich während unseres Pizzeriabesuches mit ihm geflirtet hätte. Heide fand das auch und war mir böse. Ich habe Monate gebraucht, um herauszufinden, warum sie sich so zurückzog. Meine Geschichte ist eine andere. Ich war gerade aus Andalusien zurück, glühend, erzählend, und freundlich mit Thorsten, einfach weil er Heide, meine liebe Freundin glücklich machte.
Ich habe dann ehrliche Worte gefunden und Heide erklärt, warum ich so nett zu ihm war. Man könnte ihn mir noch in hundert Jahren, wenn Männer mal ausgestorben sind, um den Bauch binden, er war nie mein Fall….. wie also hätte ich mit ihm flirten können.
Heide akzeptierte meine Erklärung und also wurde alles wieder kurzfristig gut, bis zu ihrem nächsten, übernächsten und überübernächsten Schub. Thorsten wurde ihr liebevoller Pfleger, Heide konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr alleine trinken, kaum noch atmen. Jeder Blick, jedes Seufzen musste von Thorsten übersetzt werden. Das ging für mich irgendwann nicht mehr, weil ich mit seiner Besserwisserei nicht mehr klar kam.
Nun, zehn Jahre später, habe ich mit Thorsten telefoniert. Er hat sich dann scheiden lassen vor einigen Jahren, weil auch die Familie alles besser wusste und Heide zerrieben wurde, zwischen all den alleswissenden Ärzten, der Familie und dem Gatten. Jämmerlich ist sie im Hospiz erstickt. Von ihren 53 Jahren, waren 28 Jahre nur ein großes Leiden und Verschwinden. Das ist ungerecht, wie so vieles im Leben. Nichts ist gerecht und mich nerven die Leute, denen es eigentlich gut geht, die aber immerzu klagen darüber, dass das Leben ihnen gegenüber noch was schuldig sei.
Eigentlich wollte ich das alles gar nicht aufschreiben.
Eigentlich wollte ich einen lustigen Text schreiben über Beuteschema und Realität. Eigentlich wollte ich über große, glatthaarige und lustige Windhunde schreiben. Und darüber, wie mich kleine Äuglein, aus ängstlichen, kleinen, zotteligen Leibern anschauen, und ich mich dann in jemand anderes verliebe, als ich mich sonst je vierliebt hätte. Und so bin ich dann bei meiner verstorbenen Freundin Heide gelandet. Die mit dem un-androgynen Thorsten lange glücklich war und dennoch so früh verstarb.
Von dem anderen Thema, dann also ein andermal….
Der Thomas sagte:
Eine Geschichte, die ans Herz geht… Liebe und deren Wege sind manchmal schwer nachzuvollziehen. Und das Leiden Deiner Freundin unfassbar traurig. Was wir aber alle mitnehmen können ist Deine Aussage, dass wir vielleicht einfach mal das Jammern sein lassen können, wenn es uns eh gut geht, wenn wir gesund sind!
Liebe Grüsse
Thomas
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meertau sagte:
lieben Dank für Deine Zeilen. Ich empfinde es auch so….. es ist einfach unfassbar traurig un ohne jeden Sinn. So wie jedes Leiden.
Das Jammern allerdings können wir uns sparen 🙂
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Der Thomas sagte:
Jammern hilft nix, ja. Aber Dein Beitrag hat so viel Wertschätzung gezeigt 👍🏻
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Reiner sagte:
Jede Krankheit hat ihre seelische Entsprechung, wie Du das sehr berührend geschrieben hast. Manche Lebenswege sind so vorgezeichnet, es ist traurig und es ist schon garnicht gerecht. Das hat uns auch niemand versprochen. Einmal mehr Anlass, mich öfter dankbar zu wähnen, für das, was ich habe und mich nicht grämen über jenes, von dem ich glaube, dass es mir fehlt.
So wie Dir geht es mir auch mitunter. Erst beim schreiben wird mir klar, worum es gerade wirklich geht und dann fließen die Wor te, wie sie wollen und nicht, wie sie sollten.
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tikerscherk sagte:
Hallo Reiner, da muss ich unbekannterweise leider widersprechen. Weder sind Krankheiten vorgezeichnet, sie geschehen oder widerfahren uns einfach, so wie das Leben, noch hat jede Krankheit ihre seelische Entsprechung (s.o.). Leider waltet nirgendwo ein zuverlässiger geschweige denn gerechter Plan. Seufz.
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Reiner sagte:
Hallo tikerscherk, ich möchte niemanden von meiner Sicht auf das Leben mit all seinen Herausforderungen überzeugen. Die Verbindung von Seele, Geist und Körper ist für mich mehr als ein Erklärungsmodell für Zustände, die nicht mit dem Verstand zu erklären sind. Sie kann auch der Schlüssel zur Genesung, zur Heilung sein.
Ja, es ist wohl so, dass es keinen gerechten und zuverlässigen (Master-)Plan gibt. Hätte ich den, wäre ich wahrscheinlich nie zum schreiben gekommen 😉
Grüße aus dem Tal der Wupper !
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meertau sagte:
Ich denke, jede Krankheit hat eine seelische Konsequenz, bzw. wirkt natürlich auf unser Seelchen. Umgekehrt wird kein Schuh draus.
Natürlich gibts die Klassiker der Streßreaktionen z.B. in Haut und Magen-Darm. Aber für wirklich, schwere Krankheiten…. gibt es keine Gründe außer Pech, keinen Masterplan, keinen Sinn….
Es ist nur deep deep shit….
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Reiner sagte:
Sei herzlich gegrüßt!
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Anhora sagte:
Schlimm, wenn ein geliebter Mensch augenscheinlich in die falsche Richtung geht und doch nur diesen einen Weg hat. Wer soll das verstehen? Wir haben keine Ahnung, was es mit dem Schicksal auf sich hat und können es nur ohne zu hinterfragen annehmen, dann tut man sich leichter.
Es tut mir sehr Leid um den Verlust Ihrer Freundin. Die Geschichte ist so berührend geschrieben.
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kopfundgestalt sagte:
Da schwingt viel mit, gerne gelesen.
U.a. daß ich mich insgeheim über meinen Lebensweg beklage, doch aus der Nähe besehen sind die meisten Lebensläufe nicht einfach (oder: von Anfang an beknackt)!
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Christine sagte:
Ich meiner Welt ist es so, dass Körper und Seele eng miteinander verbunden sind. Der Körper ist ein Seismograph, ein feines Instrument, das anzeigt.
Um den ausgelutschten Satz nochmals zu zitieren: Wir sind geistige Wesen, die eine körperliche Erfahrung machen. Seele im Körper.
Der Körper reagiert mehr oder weniger sensibel auf das, was wir er-leben.
Meiner macht sofort Rabatz, wenn etwas aus dem Ruder läuft.
Seitdem ich dann freundlich zuhöre, evtl. den Kurs korrigiere, geht es mir besser bis gut.
Mein Leib kann das auch ganz plakativ :-)Wenn ich in ein bestimmtes, für mich destruktives Schema zurück falle, beginne ich zu bluten. Früher heftig außerhalb des Zyklus, jetzt immer gerne mal aus der Nase, oder ich schneide mich ordentlich. Immer fließt dann viel Blut. Vielleicht wollte mein Körper mal ursprünglich zur Bühne *gg* (Scherz)
Bei den Autoimmunerkrankungen, zu denen MS zählt, wendet sich der Körper gegen sich selbst. Er bildet Antikörper gegen das eigene Gewebe.
Eine Art der Selbstzerstörung also.
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Stefanie sagte:
Wundervoller Text, hochinteressantes Thema – abgesehen davon bin ich aber auch gespannt, ob ich demnächst öfter was lese von Jemandem, der klein und zottelig ist.
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meertau sagte:
Yep! Werden Sie 💕
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wattundmeer sagte:
Ich bin auch gespannt!
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Bludgeon sagte:
Jau, kenn ich, dass sich was in die Schreibe schiebt, was zuerst geschrieben werden will. Ging mir neulich mit tangerine dream ja auch so.
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