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Papa? Das frage ich mich seit Januar fast täglich. Wärst Du ängstlich gewesen ? Mit Sicherheit. Du warst 40 Jahre chronisch schwer krank und hättest Dein hohes Risiko erkannt. Aber du warst auch immer ein kritischer Geist. Hätte ich zu Besuch kommen dürfen? Oder wäre Dir isoliert mit Deiner Frau zu sein, lieber gewesen? Vermutlich hättest Du Dich von der Ängstlichkeit zum Kopfschütteln entwickelt, hättest täglich Zahlen und Meldungen studiert und Deine ganz eigenen Schlüsse gezogen. Vielleicht hätte ich dich schon beim ersten Lockdown überreden können, mit Muttern zu uns auf die Insel zu kommen. Sie alleine, ohne Dich, war leider nicht bereit dazu. Es ist ihr hier zu langweilig auf dem platten Land. Und so wollte sie natürlich auch beim zweiten sog. light-lockdown nicht zu uns kommen. Du hättest mit mir die Einsamkeit der Insel genossen. Wir hätten ein paar Rampen für den Rollstuhl einbauen können und ich hätte dich im Auto mit ans Meer genommen. Dort hätten wir uns über die weltwirtschaftlichen Folgen unterhalten, Intensivauslastung betrachtet, Zahlen jongliert und uns seufzend ins aktuelle Schicksal begeben. Weißt Du, ALLES hat sich verändert und mir fehlt der Glaube, dass uns die Politik je wieder in gekannte Freiheiten zurück lässt.

So wie bei der Grippe hättest Du auch jetzt ganz vorne in der Warteschlange für die Impfung gestanden. Leider wurdest Du nach jeder Impfung richtig krank und darum haben wir anderen uns alle nie impfen lassen. Alle wollen jetzt Beamte werden. Kein Wunder. Und ich streife durch die Natur und denke darüber nach, ob man eine Promovierte hier als Putzkraft nehmen würde. Vermutlich nicht. Dafür werde ich ein kleines Büchlein herausbringen und wenn es kommt, sofort mit dem nächsten anfangen, was mir auch mehr Spaß bringen wird. Im Dezember werde ich noch einen Kunden besuchen, der es ausdrücklich wünscht. Selten in diesen Tagen und auch werde ich ein Blockseminar dann für Studenten online halten. Ich bin gespannt, neugierig, aber auch ein bisschen traurig. Seit fast 30 Jahren tue ich das und liebe den direkten Kontakt mit meinen Kunden und Studenten. Aber ich genieße auch die Neusortierung meiner Kontakte. Die vielen Freunde, die uns immer gern besucht haben, sind nun ängstlich zu Hause und wir haben unsere Ruhe. Nur die wenigen, heißgeliebten kommen noch und das ist auch gut so. Ich muss nicht mehr mit Geschäftspartnern essen gehen, keine Treffen im Kollegenkreis, keine „wir-müssten-mal-wieder“-Verabredungen. Das ist alles so angenehm, das ich zunehmend auswildere und merke, wie unheimlich gerne ich alleine bin. Das liegt aber auch daran, dass ich nicht einsam bin.

Also pfeife ich am Strand und tanze mit den Fiffis durchs Wasser. Auch gut.