kann ich – im Gegensatz zu den meisten Menschen – nicht verdrängen. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht über den Tod nachdenke, diesen undenkbaren Zustand. Wie quasi aus dem Nichts Leben entsteht ist schon ein unglaubliches Wunder und großes Geheimnis. Da dies möglich ist, kann ich mir das Gegenteil von Leben nicht vorstellen.
Aber fürchten.
Die meisten Menschen scheinen sich vor dem Sterben zu fürchten. Das geht mir nicht so. Vielleicht fürchte ich diesen letzten Moment des Erkennens, dass es nun vorbei sein wird. Diesen Moment fürchte ich, weil ich ihn mit schrecklicher geistesklarer Panik verbinde. Noch viel mehr aber fürchte ich mich davor, dass wirklich gar nichts mehr ist. So wie in tiefen Phasen des Schlafs. Da nimmt man nichts wahr, ist ausgeknipst… und doch…. unmerklich pumpt das Herz und das Hirn strömt, wenn auch leiser. Tatsächlich fürchte ich mich manchmal vor dem Einschlafen. So, als sei es ein kleiner Tod. Ja, ja… der kleine Tod…. was für eine hässliche Umschreibung für einen Orgasmus. Aber das war ja gerade nicht mein Thema. Ich war gerade bei der Furcht. Nicht dem Bangesein, wie es sich anfühlt, wenn man – so wie ich eben – in pechschwarzer Nacht mit aufsteigendem Bodennebel über die Felder stolpert, die Bäume knacken hört, sich versehentlich umdreht und dabei in Pferdeäpfel läuft.
Ich fürchte das Unausweichliche und ich bin immer wieder fassungslos. Denn ich kann nicht glauben, dass wir wirklich sterben. Andererseits kann ich mich auch nicht heraus reden. Zu viele sind bereits verschwunden. Freundinnen, Geliebte, Bekannte, Großeltern, Tiere. In Gedanken spreche ich manchmal mit Ihnen, höre eine Bandaufsage ab, die ich noch immer auf meiner Mailbox gespeichert habe, oder ertappe mich bei der Frage, wie es ihnen wohl geht.
Ich war nie dabei, wenn einer von ihnen ging. Den Großvater sah ich vier Stunden bevor er ruhig einschlief, die Großmutter zwei Tage, die Freundin eine Woche zuvor und den ehemals Geliebten hatte ich Wochen nicht gesehen, bevor ihn der Schlag traf. Der Schwiegermutter hatte ich noch wenige Stunden vor ihrem Weggang die Hand gestreichelt und der Mann übernahm die Nachtschicht, wohlwissend, dass seine Mutter den nächsten Tag nicht erleben wird. Als ich morgens ganz früh, in der Ferienwohnung wach wurde, hatte ich eine Tür zuschlagen gehört. So, als habe jemand die Wohnung soeben verlassen. Fünf Minuten später rief der Herzensmann an und erzählte, dass sie soeben verstorben sei.
Als mein erster Hund mit drei Jahren nachts verstarb, war das letzte was ich von ihr hörte ein tiefer Seufzer. Auch mein Großvater soll geseufzt haben. Und immer wieder war und bin ich fassungslos und wütend. Weil ich es einfach nicht glauben kann, nicht glauben will. Und ich kann mich nicht damit abfinden, dass eines Tages der Herzensmann, oder die Eltern, oder Freunde…. oder ich gehe. Ich will unbedingt bleiben. Ich will mich nicht damit abfinden, dass eines Tages das alles nicht mehr existiert.
Vibesbild sagte:
Liebste Ro,
da preschen Sie vor in den Brennpunkt, um den sich mein Sein seit viel zu langer Zeit fokussiert. Erstaunlich die vielen Synchros… Es wird meinem Aszendenten, dem Skorpion angelastet, dass ich mich beinahe manisch mit dem Tod, dem Jenseits beschäftige. Dabei bin ich – wie Sie ja wissen – ein durchaus bodenständiges Geschöpf. Und dennoch ist es der Tod, dessen Größe und Unausweichbarkeit so einen dunklen Moll-Ton in meiner Lebensmelodie erzeugt.
Wieviele Tode habe ich bereits miterlebt… wieviele Abschiede genommen. Muss mich dabei selber rühmen, ich nahm sie „gut“, ich durchlebte die Trauer, auch die Wut und ich konnte es be-greifen/ er-fassen, ver-arbeiten… Von Menschen. Von tierischen Lieben sieht es schon wieder anders aus… da straft die Schwerlichkeit des Annehmens des Abschiedes meine von mir selbst angenommene Souveränität Lügen.
…aber mir geht es so ähnlich wie Ihnen was dieses Unverständnis gegenüber der eigentlichen Endlichkeit anbelangt. Dabei bin ich immer „im Punkt“, fühle mich zuweilen wie eine Insel, an der das Leben vorbeispult… immer öfter bin ich die ruhende Beobachterin, aber dabei aktiv im Einatmen des Lebens, im Willen einzutauchen und hochzufliegen bis zu den Sternen. Unlängst packte mich der Gedanke, wie es wohl ist…. wenn ich alleine hier im Hause wäre… in meiner Fülle/ meinem Avalon… Der Herzallergeliebteste womöglich gegangen, meine vierbeinigen Kinder absehbar gegangen,… und dann fragte ich mich, was dann wohl bleibt, von mir selber… wenn das Herz in 10000nde Stücke zerrissen ist, weil eine jede der geliebten Seelen einen Teil davon mit sich nahm.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass der letzte erlebte einschneidende Abschied und jene, die noch kommen werden, meine Wurzeln aus dem Lebensboden reißen.. und ich damit ätherischer und endlicher werde. Das lässt mein Blut und Herz so schwer von den vielen messerscharfen Tränen werden. Und ich habe Angst vor einer Zeit, in der mir womöglich mehr die Erinnerungen als die Gegenwart Gesellschaft leisten, aber solange werde ich mir eben schöne Momente und Erinnerungen erhaschen. Sie ansammeln. Krumen für Krumen. Sie zusammenfügen, auf dass sie m-ein Fundament bilden… bis eben zum letzten Atemzug und Herzschlag.
Ich selber habe keine Angst vor Schwester Tod, jener dunklen Hebamme, Mama Morta, Mutter Hel… (http://vibesbild.de/hel/, http://vibesbild.de/hel-ii/)
Ich fürchte nur ihre Konsequenz mit der sie mir die geliebten Seelen nimmt, aus welchen ich „bin“. Was hilft dabei schon… …uns an die Hände zu nehmen, unserem Herzschlag lauschen, ins Herz zu schließen, uns gegenseitig be-hüten, halten.
…schwierige Gradwanderung… die aufrichtige Auseinandersetzung mit dem Sterben…
http://static.nichtlustig.de/toondb/060518.html
Ich freue mich, dass es Sie gibt. Hier. Jetzt. Spür-bar. Wir sollten dringend mit dem Kichern weitermachen… das vertreibt die Dämonen und schenkt Kraft.
..herzlichst: Ihre Schamantschi
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meertau sagte:
wie sollte ich jetzt auf Ihren Kommentar gescheit antworten, wo ich doch bei jeder Zeile heftig nicke.
Ich muss jetzt wieder übers Kichern nachdenken 🙂
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meertau sagte:
und nun lese ich deinen kommentar zum widerholten male.
immer wieder nickend.
und „die dunkle hebamme“ ist eine tolle formulierung, ein starkes bild.
ich hoffe, du blogst bald wieder 🙂
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datja sagte:
.
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meertau sagte:
yep…. seh ich auch so
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Anhora sagte:
Wenn ich an das Sterben denke, ist der erste Impuls, auf mein Leben zurückzuschauen. Ich habe das Beste daraus gemacht in dem Rahmen, in dem ich mich nun mal bewegen musste und den ich gelegentlich gesprengt habe. Ich habe viel erlebt und bin zufrieden. Das nimmt mir die Angst vor dem Tod.
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meertau sagte:
Bis auf den letzten Satz geht es mir exakt genau so. Und weil so vieles drin war bisher und so herrliches, drum…. darf das auf keinen Fall zu Ende gehen. Es sei denn, es kommt so, wie vibesbild es oben beschreibt…. und wir werden ätherischer, weil uns der Tod die Lieben nimmt, die Teile unserer selbst geworden sind.
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Anhora sagte:
Bei mir ist es gerade umgekehrt: Vor einigen Monaten starb meine Mutter, aber ich empfinde es nicht so, dass nun auch etwas in mir „weggestorben“ ist, im Gegenteil. Ich spüre seither eine tiefe Liebe und Lebendigkeit, die von meiner Mutter kommt. Sie macht mir gerade ein unglaubliches Geschenk. Ich weiß einfach, dass da etwas weitergeht, und dass es intensiv und schön ist.
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meertau sagte:
oha…. das finde ich lehrreich und spannend….
dennoch….und trotzdem und sowieso… mein beileid….. unbekannter weise
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Christine sagte:
Ich glaube nicht mehr an den Tod. Für mich gibt es nur das Leben – in unterschiedlichen Formen und Arten. Damit meine ich keine Spezies 😉
Ich bin der Überzeugung, dass wir Bewusstsein sind, das weit und ewig ist.
Das nimmt nichts von der Trauer, wenn jemand hinüber gegangen ist.
Ich habe bei mir beobachten können, dass das auch immer ein neuer Abschnitt ist, in dem ich mich verändere, im besten Falle wachse.
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meertau sagte:
Ja…. so habe ich es auch viele Jahre gesehen. Es ändert jedoch nichts an meiner Fassungslosigkeit und meinem Unverständnis.
Mein Bewusstsein wird sich eines Tages mit dem des Meeres verbinden. Nur ich… bin dann weg. Was aber auch kein großer Schaden ist – ausser für mich 🙂
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Christine sagte:
Liebe Frau Meertau,
wenn da nichts mehr kommt, können Sie beruhigt sein, denn dann bekommen sie „davon“ ja auch nichts mehr mit 🙂
Und wenn etwas ist, dann sind Sie auch. Wie auch immer, das weiss doch niemand.
Aber für beide Fälle kann gelten: Alles gut.
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Käthe Feinstrick sagte:
Eigenartig – eben noch dachte ich über den Tod nach, während ich mich zahnwehgeplagt nach einem wirklich scheußlichen Tag im Bett hin- und her wälzte – und dann lese ich Ihren Text …. Angst vorm Tod habe ich nicht, vorm Sterben sehr wohl. Voller Schmerzen dahinsiechen zu müssen, ist für mich der absolute Horror. Dann lieber ein schnelles, kurzes Ende, zum Beispiel, indem man kopfüber ins nächste Blumenbeet kippt und einfach weg ist. Aber dummerweise kann man sich das ja nicht aussuchen. Was danach kommt, interessiert mich gar nicht mehr so brennend. Vielleicht, weil ich als Kind zu intensiv mit Bildern vom Jenseits gefüttert wurde. Vielleicht auch, weil ich das Leben manchmal so laut und anstrengend finde, dass ich denke: So ein bisschen Ruhe kann gar nicht schaden.
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meertau sagte:
halten Sie sich bitte dennoch künftig von Blumenbeeten fern 🙂
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UK sagte:
Mir macht der Tod sehr viel Angst. Ich denke auch jeden Tag dran.
http://blog.magerquark.de/suizid/
Mein Sohn (3) fragte mich mal, wo er war, bevor er jetzt hier ist. Und ich wusste keine Antwort. Wo ist etwas mit Persönlichkeit und Selbstbewusstsein, bevor es existierte.
In sofern finde ich die Geburt fast noch unbegreiflicher als den Tod.
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Annika sagte:
Ein sehr schöner Text. Den letzten Moment fürchte ich am allermeisten. Ich werde ein Heidentheater machen, nehme ich an. Das einzige, was mich tröstet, dass vor mir schon Milliarden Menschen gestorben sind und nach mir genausoviel sterben werden. Jeder, ausnahmslos, muss damit zurande kommen.
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meertau sagte:
:-)… nun das theater wird schon einfach unsere biologie machen, die auf „leben“ gepohlt ist. aber das mit den milliarden menschen vorher…. das ist einer der wenigen gedanken, die mich auch trösten.
ob wir leben dürfen, ist uns nicht gewiss. aber wenn wir es dürfen, ist uns der tod ganz gewiss. und alle bisher, haben es irgendwie geschafft.
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tikerscherk sagte:
Liebe Frau Meertau, ich fühle und denke genau wie Sie, was das Sterben anbelangt. Auch ich kann es nicht glauben und ich möchte es nicht wahr haben (im wahrsten Sinne).
Im letzten Oktober, als mein Herz stehen blieb, habe ich eine schöne Reise gemacht. Das Sterben selbst erscheint mir seitdem einfach. Aber das Danach bleibt pechschwarz und unheimlich.
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meertau sagte:
Sie sagen es….!!!
und die geschätzte Nachbarin
hat bei frau martynova diesen wunderbaren satz ausgegraben…, dass die welt ohne mich… schon vorstellbar sei, aber ich ohne die welt???
(also sie sagt es natürlich viel besser)
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tikerscherk sagte:
Ja, ich hatte den Text bei der muetzenfalterin gelesen.
Das Thema scheint in der Luft zu hängen (obwohl es immer da ist). Herbst.
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